Lean Startup: Warum auch große Unternehmen die Innovationsmethode nutzen sollten

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Digitalisierung, Automatisierung, Globalisierung: Der Takt der Wirtschaft wird von Jahr zu Jahr schneller. Damit steigt der Konkurrenzdruck. Und der Druck, möglichst schnell Innovationen auf den Markt zu bringen. Mit der Lean Startup-Methode kann das gelingen - auch bei Mittelständlern und Konzernen.

Erklärung: Woher stammt der Begriff “Lean Startup”? 

Eric Ries gilt als der Erfinder der Lean-Startup-Methode. Er beschrieb sie ausführlich in seinem 2011 veröffentlichtem Buch “The Lean Startup: How Today’s Entrepreneurs Use Continuous Innovation to Create Radically Successful Businesses”, welches 2012 in Deutschland als “Lean Startup: Schnell, risikolos und erfolgreich Unternehmen gründen” auf den Markt kam. Seitdem gilt es Pflichtlektüre für alle Gründer und innovative Manager.

Ries ist Software-Entwickler, Autor und Entrepreneur. In seinem Buch “The Lean Startup” bringt er viele Beispiele seines Unternehmens IMVU. Beim Aufbau des Startups machten er und sein Team viele Fehler bei der Produktentwicklung. Diese kommen in ähnlicher Form bei vielen Unternehmen vor. Um sie zu vermeiden, entwickelte Ries die Lean-Startup-Methode. Hierfür ließ er sich unter anderem beim Lean Manufacturing und dem Design Thinking inspirieren.
 

Was ist die Essenz der Methode?

Im großen Maßstab denken, aber klein anfangen - das ist die Idee hinter Lean Startup. Ries beschreibt in seinem Buch, wie Unternehmen ihre Ideen und Konzepte schnell umsetzen können. Dabei ist es wichtig, die Kunden, ihre wahren Bedürfnisse und Anforderungen stets in den Fokus zu rücken.

Hat ein Team eine Idee zum Konzept entwickelt, gilt es, dies am Kunden zu testen. Dafür entwickelt es ein sogenanntes Minimum Viable Product (MVP). Das MVP ist eine erste Umsetzung des Konzeptes, stark reduziert auf die wichtigsten Aspekte. Im Deutschen kennt man das MVP als MFP - das “minimal funktionierende Produkt”.

Mit dem MVP bzw. MFP testet das Team seine Annahmen. Darauf hin kann es einen Feinschliff oder einen Kurswechsel vornehmen. Das hat zur Folge, dass Produkte deutlich schneller und kostengünstiger entwickelt werden können. Und das entlang der Kundenwünsche.
 

Wer sollte / kann Lean Startup anwenden?

Auch wenn in der Bezeichnung das Wort “Startup” drinsteckt, ist die Methode nicht ausschließlich für Neugründungen geeignet. Ganz im Gegenteil. Eric Ries sagt im Vorwort seines Buches:

“Entrepreneurship hat mit Management zu tun. Ja, Sie haben richtig gelesen. Die Vorstellungen, die wir mit beiden Begriffen verbinden, weichen oft voneinander ab. Es scheint, als wären Entrepreneure cool, innovativ und spannend. Und Manager langweilig, ernst und emotionslos. Es ist an der Zeit, diese Vorurteile unter die Lupe zu nehmen.”

Ries ist der Überzeugung, dass es Entrepreneure nicht nur in Startups gibt, sondern in allen Unternehmen. Sie sind laut ihm “eine menschliche Organisationsform, die sich zum Ziel gesetzt hat, unter extrem unsicheren Bedingungen neue, innovative Produkte und Dienstleistungen zu erschaffen.”

Innovationen erschaffen, anders denken, agil entwickeln, schnell sein - das sind die Anforderungen, die heutzutage fast alle Unternehmen erfüllen müssen. Besonders wenn sie sich der Digitalisierung mit ihrer extrem schnellen Taktung stellen. Was heute “in” ist, kann morgen schon veraltet und übermorgen längst vergessen sein. Der moderne Kunde verhält sich sprunghaft. Er sorgt dafür, dass einstige Giganten wie Quelle oder Kodak vom Markt verschwunden sind und selbst IT-Größen wie Nokia oder Yahoo ums Überleben kämpfen mussten.

 

Was benötigt man zur Anwendung?

Die Lean-Startup-Methode eignet sich für kleine und große Unternehmen, Neugründungen und etablierte Player gleichermaßen. Um sie anwenden zu können, benötigen die Teams viel Freiraum. Das fängt beim Mindset an: Aussagen wie “Das haben wir schon immer so gemacht” oder “Das können wir nicht machen, weil…” müssen verschwinden.

Zum Freiraum gehört auch die Möglichkeit für Experimente. Und eine wirklich gelebte Scheiterkultur. Wenn etwas nicht funktioniert oder ein Effekt nicht wie gedacht eintritt, gilt es, daraus zu lernen. Und es beim nächsten Mal besser zu machen. Beim Experimentieren und Vorgehen nach Lean Startup geht es darum, sich dem Neuen zu stellen. Das Berufen auf alte Strukturen und Erfahrungen dürfen einem hierbei nicht im Weg stehen.

Wird die Lean-Startup-Methode in großen Unternehmen angewendet, ist es ratsam, es in kleinen, abgekapselten Arbeitsgruppen bzw. Teams einzusetzen. Zum Beispiel in Innovationsgruppen, die losgelöst von den Firmenstrukturen agieren können. Teilweise gründen Firmen eigene Startups aus, damit diese Einheit wirklich frei agieren kann.
 

Die Vorteile von Lean Startup

Schnell etwas realisieren; machen statt reden; wenig Budget, großer Output: Das ist der Kerngedanke der Lean-Startup-Methode. Ideal für Teams, die echte Innovationen auf den Markt bringen möchten, aber nicht wissen, ob ihr Konzept grundsätzlich funktioniert. 

Ein Hauptgrund, warum viele Startups und Innovationsteams scheitern, ist: Sie entwickeln ihre Produkte am Markt vorbei. Die Ergebnisse sind zu zu teuer, zu kompliziert, zu neuartig, zu andersartig, dem Markt zu weit voraus oder einfach unbrauchbar. Um diese Stolpersteine aus dem Weg zu räumen, sollten sich Entrepreneure stets bewusst sein, was ihre Kunden wirklich benötigen - und was eben nicht. 

Das gelingt, indem sie beispielsweise Jobs To Be Done oder Design Thinking anwenden. Und indem sie MVPs / MFPs realisieren, die sie über das sogenannte Validated Learning verbessern.
 

Was bedeutet Validated Learning?

Validated Learning ist ein weiterer Begriff, den Eric Ries prägte. Er bedeutet, dass eine Idee durch einen ständigen Lernprozess überprüft und auf Fakten basierend weiterentwickelt wird. Daraus entsteht der “Lean Startup Circle”.

Dieser Kreislauf besteht aus einer Dauerschleife, die aus den drei Phasen “Bauen”, “Messen”, “Lernen” besteht. Im Englischen bezeichnet man dieses Vorgehen als “Build-Measure-Learn” (BML).

 

Kritik und Nachteile

Wer “Lean Startup” googelt, stößt schnell auf englische Beiträge mit Headlines wie “Lean Startup is dead”. Diese Beiträge kritisieren unter anderem die Nachteile der Vorgehensweise und empfehlen andere Methoden. Wie immer gilt: Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Denn es gibt selten das ultimative Patentrezept, wie Startups, Innovationen oder neue Produkte definitiv zum Kassenschlager werden!

Selbstverständlich ist auch Lean Startup nicht fehlerfrei. Zum Beispiel wird häufig kritisiert, dass mehr eine Vision und weniger ein festes Ziel im Vordergrund steht. Das könnte dazu führen, dass die Anwender beim Experimentieren Vorgaben wie Deadlines oder Budgetgrenzen nicht einhalten. Ebenso schwer ist eine Planbarkeit. Ein Vorgehen nach klassischer Wasserfall-Methode eignet sich nicht, dafür sind agile Prozesse wie Scrum angebracht.

Bei solch einer iterativen Entwicklung kann es vorkommen, dass das ursprüngliche Konzept und das sukzessive entstehende Produkt vollkommen unterschiedlich ausfallen.

Klarmachen sollte man sich auch: Lean Startup eignet sich nicht für jede Art von Produkt. Ein Medikament oder ein Flugzeug können nicht als schnell zusammengezimmerter Prototyp am Endkunden getestet werden.
 

So hängen Design Thinking, Lean Startup und Agile Entwicklung zusammen

Eine wichtige Säule der Lean-Startup-Methode ist der BML-Prozess, das Ergebnis ein MVP.
 


Im Detail betrachtet beinhaltet das Validated Learning weitere Aspekte. Nämlich:

  • Ideas: Es werden Ideen generiert und Annahmen getroffen
     
  • Build: Das Team setzt das MVP um
     
  • Code: Für die Umsetzung eines digitalen Produktes, zum Beispiel einer App, müssen Entwickler Code programmieren
     
  • Measure: Erste Kunden testen und nutzen das MVP. Zum Beispiel, indem es einen Alpha-Test mit einer kleinen Zielgruppe gibt.
     
  • Data: Das Innovationsteam sammelt so viel Feedback und so viele Erkenntnisse wie möglich.
     
  • Learn: Die Daten werden sortiert, strukturiert und ausgewertet. Darauf basierend entstehen neue Annahmen und Ideen. Der Prozess beginnt von vorne.

Ideen-Generierung, schnelle Produktzyklen, Daten erheben - diese Elemente sind auch Bestandteile anderer Methoden. Zum Beispiel bei Design Thinking und Scrum. Die Grenzen fallen fließend aus, das eine braucht das andere.


Lean Startup: Bekannte Beispiele

Funktioniert die Methode von Eric Ries wirklich? Ja, definitiv. Es gibt zahlreiche Neugründungen, die so ihre ersten erfolgreichen Schritte gegangen sind. Das bekannteste Lean-Startup-Beispiel ist Dropbox. Bevor der Cloud-Dienst offiziell an den Start ging, testeten die beiden Gründer zuerst das Konzept mit einem Minimum Viable Product. Daraus entstand schrittweise ein Multi-Milliarden-Unternehmen.

Auch Twitter, AirBnB und Zappos entstanden durch die Anwendung der Ries’schen Herangehensweise. Die Erfinder nahmen keine teuren Marktstudien vor, stattdessen setzten sie auf das Validated Learning.
 

Welche Jobs gibt es im Rahmen von Lean Startup?

Um Lean Startup anzuwenden, sind Personen mit verschiedenen Fähigkeiten nötig. Das heterogene Team kann aus Grafikern, BWL-Experten, Marketing-Profis und Entwicklern bestehen. Oder auch aus Produktmanagern, Ingenieuren, Analysten und Webdesignern. 

Wichtig ist die Unterschiedlichkeit der Beteiligten. Und zugleich ihre gemeinsame Offenheit für neues Denken und Arbeiten. Sie müssen “open minded” an einem Strang ziehen, um eine Innovation zu erschaffen - und das innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen.

Somit gibt es nicht den typischen Lean-Startup-Job. Aber gewisse Positionen, die häufig zum Einsatz kommen. Dazu gehören Informatiker bzw. Programmierer, denn sie entwickeln die digitalen MVPs. Je nach Zielrichtung sind unterschiedliche Spezialisierungen vonnöten. Geht es um eine neuartige App, sind iOS- und Android-Entwickler gefragte Leute; bei einem innovativen Onlineshop-Konzept werden eher PHP-Programmierer benötigt.

Fazit

Ist Lean Startup nur etwas für Neugründungen? Nein. Bewahrt es vor Fehlschlägen? Ebenfalls nein.

Getreu dem Motto “Fail often, fail fast” geht es bei der Methode von Eric Ries darum, ständig Fehler zu machen und daraus zu lernen. Dementsprechend ist es wichtig, dass alle Schritte des Lean-Startup-Circles schnell getaktet sind. Nur so kann ein Team sein Produkt agil entwickeln.

Was auch nicht vergessen werden darf: Bei der Anwendung von Lean Startup geht es wenig um Kreativität. Ries betont in seinem Buch mehrfach die Wichtigkeit von Entrepreneurship. Dazu sagt er: “Entrepreneurship besteht zu 5% aus einer zündenden Idee […], die restlichen 95% sind schweißtreibende Arbeit”.


Bilder: Adobe Stock, Gartner